1. Die Altsachsen


Die erste Nennung der Sachsen erfolgte durch Ptolemäus von Alexandria in der Zeit um 150 n. Chr. Er nutzte vermutlich Nachrichten, die während römischer Erkundungsfahrten im Jahr 5 n. Chr. gesammelt worden sind (Capelle, 1999). Nach Ptolemäus sind die "Saxones" als Stammesverband nördlich der Elbe und südlich der kimbrischen Landenge, also im heutigen Holstein, zu finden (Rech, 2000). Im Norden des heutigen Landes Niedersachsen lokalisierte Ptolemäus die Chauken. Es ist jedoch höchstwahrscheinlich, daß die Trennung in Sachsen und Chauken nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprach und es sich bei diesen um ein und dieselbe Volksgruppe handelte, was durch archäologische Befunde bestätigt wird (Rech, 2000; Capelle, 1998). Mit "Sachsen" oder "Schwertgenossen Sahsnôtas" wurde möglicherweise ursprünglich nur ein Kriegerverband bezeichnet (Genrich, 1991; Rech, 2000), dessen Name auf den "Sax" zurückgeht, einem einschneidigen Schwert, das bei den Sachsen weit verbreitet war. "Der prestigeträchtige, klangvolle Name der Sachsen" (Böhme, 1999a) ging auf das gesamte Volk über, so daß der Name der Chauken im 3. Jahrhundert n. Chr. verschwand (Capelle, 1998), seit dieser Zeit ist das heutige nördliche Niedersachsen zweifellos sächsisch. Erfolgreich waren die Sachsen als Seeräuber an den Küsten Galliens und Britanniens (von Hadel, 2004). Infolge des häufigen Auftauchens der Sachsen, die als Vorläufer der Wikinger gelten können, wurde die Küste des englischen Kanals von den Römern sogar als "Litus Saxonicum", also als "sächsische Küste", bezeichnet (Johnson, 1978). Zum Schutz vor sächsischen Angriffen errichtete das Römische Reich an der Kanalküste Befestigungsanlagen. Kurioserweise wurden zum Schutz dieser Küsten von den Römern auch Sachsen als Söldner angeworben (Genrich, 1991; Böhme, 1999a).

Kennzeichnend für die Geschichte der Sachsen ist die ständige Ausdehnung des Stammesverbandes durch die Assimilierung benachbarter Stämme. "Die zahlreichen über See erfolgten Fahrten, die häufig genug von Erfolg gekrönt waren und schließlich zur Indienstnahme sächsischer Söldner in die römische Armee führten, machten den Namen der Sachsen als kühne, gefolgschaftlich organisierte Seefahrer auch bei ursprünglich nicht zugehörigen Bevölkerungsgruppen im Hinterland derartig attraktiv, daß sie offenbar laufend Zuzug erhielten" (Böhme, 1999a). Im modernen Sprachgebrauch würden sie als Trendsetter ihrer Zeit und ihrer Region bezeichnet werden (Capelle, 1999). Im 4. Jahrhundert n. Chr. reichte der sächsische Siedlungsraum schon etwa bis zum Wiehengebirge, vgl. Karte (Häßler, 1999). Das Kernland des sächsischen Siedlungsraumes lag dabei im Elbe-Weser-Dreieck (Capelle, 1998).

Zwischen 400 und 450 n. Chr. wanderte ein Teil der küstennahen Sachsen zusammen mit Angeln und Jüten in das von den Römern verlassene Britannien aus und sie gründen dort - als "Angelsachsen" - Königreiche, z.B. Wessex, Sussex und Essex (Westsachsen, Südsachsen und Ostsachsen). Zwar haben die Auswanderungen zu einer teils erheblichen Schwächung der Besiedlung des kontinentalen Sachsen geführt, doch kam es keineswegs zu einer völligen Entvölkerung (Capelle, 1999). So konnten Archäologen oft keine Unterbrechung der Siedlungstätigkeit auf der Geest feststellen (Behre, 2002). Nach einer Phase des Verharrens kommt es zu einem erneuten, archäologisch nachweisbaren, Aufschwung im "alten" Sachsen (Capelle, 1999). Im Gegensatz dazu wurden allerdings die Marschgebiete im nordwestlichen Niedersachsen von den Sachsen völlig aufgegeben, wobei zunehmende Sturmfluten und ein Anstieg des Meeresspiegels wichtige Ursachen für die Auswanderung waren. Erst im 7. und 8. Jahrhundert wurden diese Gebiete (das heutige Ostfriesland, Butjadingen und Wursten) wieder besiedelt, und zwar durch die von Westen kommenden Friesen (Behre, 2004). Von den Angelsachsen in Britannien wurden die kontinentalen Sachsen - zu denen weiterhin Kontakte bestanden - fortan "Altsachsen" genannt. Noch bis in das 11. Jahrhundert bestand eine Sprachgemeinschaft zwischen kontinentalen Sachsen und Angelsachsen, während sich Sachsen und die Bewohner des heutigen Süddeutschlands nur schwer verständigen konnten.

Bis zum frühen 8. Jahrhundert konnte sich der sächsische Stammesverband weiter nach Südwesten ausdehnen und erreichte durch die Aufnahme der Cherusker, Angrivarier, Amsivarier und schließlich der Brukterer seine größte Ausdehnung. Diese Expansion geschah nach der jüngeren Forschung ("Bündnistheorie") wahrscheinlich auf eher friedlichem Wege (Häßler, 1999). Der Großteil des sächsischen Gebietes im 8. Jahrhundert wird vom heutigen Bundesland Niedersachsen (mit dem Land Bremen) und Westfalen eingenommen. Niedersachsen beinhaltet dabei das ältere Kerngebiet der Sachsen (vgl. Karte). Das niedersächsische Gebiet wird bis zur Gegenwart kontinuierlich von Sachsen und ihren Nachfahren bewohnt (Capelle, 1998). Das Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt gehörte bis in das 6. Jahrhundert zum Reich der Thüringer; 531 wurde der Teil westlich von Elbe, Saale und Unstrut von den Sachsen erobert. Die Gegend des heutigen Bundeslandes "Sachsen" wurde hingegen von slawischen Stämmen besiedelt.

Ein wichtiges Merkmal der sächsischen Gesellschaft im 8. Jahrhundert waren Thingversammlungen, auf denen Vertreter aller Stände an Entscheidungen beteiligt wurden (Becher, 1999), weshalb ihnen "Merkmale einer urdemokratischen Prägung" zugeschrieben werden (Diwald, 1987). Es gab keinen König oder eine ähnliches System der Alleinherschaft, was die christlichen Autoren des frühen Mittelalters mit Erstaunen herausstellten. Eine zentrale Thingversammlung lag möglicherweise in "Marklô" an der Mittelweser. Sachsen war untergliedert in die "Herrschaften" der Westfalen (westlicher Teil des heutigen Westfalen und westliches Niedersachsen), der Engern (entlang der Weser), der Ostfalen (östliches Niedersachsen und westliches Sachsen-Anhalt) und der Nordliudi (Elbe-Weser-Dreieck und Nordelbien) (Wulf, 1991). Möglicherweise entstand diese Untergliederung in Großgruppen erst im Zuge der Sachsenkriege (Becher, 1999), andererseits könnten sich in ihnen auch ehemalige Stammesteile widerspiegeln. Das in der frühen Geschichte Sachsens bedeutende Elbe-Weser-Dreieck umfasst die altsächsischen Gebiete Wigmodien und Haduloha.

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